Im Moor {vom Knaben keine Spur}.
Moor. Meine bisherigen Assoziationen damit waren eher gruseliger Natur. Ohne nähere Kenntnisse (ich war bislang noch nie im Moor) lief mir beim Wort Moor immer ein leichter Schauer über den Rücken. Nebelschwaden, die über eine sumpfige Ebene wabern. Wege, die man kaum erkennt – aber nur ein falscher Schritt, und versinkt man im Morast und kann sich nie wieder herausziehen (es sei denn, man heißt Münchhausen). Menschen, die auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Rothaarige Moorleichen, die 3000 Jahre alt sind. Die Moorsoldaten. Und natürlich „Der Knabe im Moor“ von Anette von Droste-Hülshoff:
Oh schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ists übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
(…)
Und besonders schön schaurig:
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.
Tja. Und dann war ich neulich erstmalig in meinem Leben tatsächlich im Moor. Meine Hunter Boots im Gepäck. Und das Multitool griffbereit, um etwaige Angriffe etwaiger untoter Moorleichen mit grünlichen, spinnenbeinartigen Fingern abzuwehren.
Und was war? Nix war. Strahlender Sonnenschein. Idylle pur.
So wirkte es wenigstens auf den ersten Blick. Wenn man genauer hinsah, konnte man erahnen, dass der Boden doch nicht die sanfte grüne Wiese war, die man vermutete:
Und wenn man sich in die andere Richtung drehte, sah es trotz des strahlenden Sonnenscheins auch schon ein wenig finsterer aus.
Und irgendwie fand ich es auch unglaublich, dass mitten im Land so viel Land ist… Also, wir befanden uns mitten in Niedersachsen, da sollte man doch meinen, dass da in Sichtweite irgendwo immer menschliche Behausungen sind. Immerhin gab es Windräder als Zeichen der Zivilisation (die sieht man aber auch nur, weil ich das Foto von einem Aussichtsturm mit dem Teleobjektiv aufgenommen habe).
Irgendwie war mir aber immer noch nicht richtig schaurig zumute.
Das änderte sich auch nicht, als wir an eine andere Stelle fuhren, an der von der von Bodelschwinghschen Stiftung Bethel eine Rinderzucht betrieben wird.
Wenn ein Rind dort nicht versinkt, wird doch auch kein Knabe versinken, oder?
Aber wer weiß, vielleicht waren die Rinder ja auch nur eine Fata Morgana? Aus der Nähe gesehen habe ich sie jedenfalls nicht…
Aber dann. Zwar immer noch kein Nebel in Sicht. Dafür aber Sumpf. Quasi die Everglades von Niedersachsen.
Fehlte nur noch ein klitzekleiner Alligator.
Ich bin mir sicher, dass der (also der Alligator) hinter der einen Birke da hinten links lauerte.
Aus Angst schickte er nur seinen Kollegen vor. Der Feigling.
Idyllisch war es aber trotzdem. Besonders das zweite Bild aus dem Sumpf mag ich sehr. Und in natura sah es noch viel schöner aus. Am liebsten hätte ich mir einen Liegestuhl aufgestellt und ein paar Stündchen lang einfach nur geguckt.
Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass die ganze Kulisse bei Regen, Sturm, Nebel, Schnee doch ganz schön bedrohlich wirkt. Und ja auch bedrohlich ist. Denn so nett es hier auch wirkt – ich befürchte, aus dem Sumpf kommt man tatsächlich nicht so schnell raus.
Die lustigen weißen Puschel sind übrigens Wollgräser. Sind die nicht hübsch?
Bei der Gelegenheit habe ich übrigens gelernt, dass Birken, die sich im Übrigen mit als erste auf gerodeten Moorflächen aussähen, eigentlich Unkraut sind. Mal wieder unnützes Wissen angehäuft ;). Wer weiß, an welcher Stelle man das noch mal schlau daherpalavernd gebrauchen kann (außer hier 😉 ).
Was ich ja (neben Moor im Nebel) ein bisschen gruselig finde, sind fleischfressende Pflanzen. Nicht nur, dass ich meine Extremitäten in Gefahr sehe – ich finde es auch äußerst unschön, mit ansehen zu müssen, wie ein Insekt genüsslich vertilgt wird. Brrrrr.
Und passend zum – Sonne bitte wegdenken und stattdessen Nebelschwaden vorstellen – unwirtlichen Ort wimmelt es im Moor auch nur so vor ebendiesen solchen. Dort, wo wir waren, gab es massenhaft rundblättrigen Sonnentau. Hübsch anzusehen, aber irgendwie schaurig. Leider hat der nette Mann vom BUND, der uns herumgeführt hat (Achtung, es sind seine Fingernägel, nicht meine), nur ein winzigkleines Exemplar aus dem Sumpf herausgeholt – zu gerne hätte ich Euch die Moooooonsterpflanze präsentiert, die ganze Kühe auf einmal verspeist…
Tja, und zum Schluss sah ich dann noch die unschöne Seite des Moores. Keine rothaarige Moorleiche, nein. Sondern Torfabbau. Das Unternehmen, das wir besuchten, baut den Torf zwar nach eigener Aussage sehr schonend ab und kümmert sich auch um die Linderung der (selbst verursachten) negativen Folgen. Aber trotzdem: In wenigen Jahren wird hier abgebaut, was über Jahrtausende gewachsen ist. Und einmal weg ist immer weg.
Sowas kann ich gar gut haben.
Dann doch lieber trügerische Mooridylle…
Wer weiß, vielleicht ist das Tückische am Moor ja gerade dessen Schönheit, die einen verleitet, auf eine Wiese zu treten, die in Wirklichkeit gar keine ist? Und dann: Spinnenfinger, Sumpf, Moorleiche. Ihr wisst schon…
Schaurige Grüße,
Kathrin
2 Kommentare
Tanja
In welchem Moor war das?
Wenn du noch einmal »Moor erleben« möchtest, musst du mal vorbeikommen …
Ich wohne direkt am Großem Torfmoor mit Erlebnispfad (Matschepatsche an den Füßen) und echten Moorleichen (hinter Glas!)!
… und seit neuestem haben wir auch einen NABU-Moorhof, weil bei uns so viele Weißstörche nisten!
Kathrin
Hallo Tanja,
das war gar nicht so weit von Euch entfernt, im Landkreis Diepholz. Zuerst waren wir in Wagenfeld-Ströhen und dann in Freistatt. Ich habe erst überlegt, ob ich mich auf dem Rückweg mit Dir treffen könnte, aber dann passte das zeitlich leider doch nicht. Ich komme aber gerne mal in „Dein“ Moor!
Liebe Grüße,
Kathrin